1            einleitung

1.1             annäherung an liane zimbler

 

Die Begegnung mit der österreichischen Architektin Liane Zimbler geschah eher zufällig während eines Seminars zum Thema des kulturellen Transfers, der auf dem Gebiet der Architektur durch ins amerikanische Exil geflüchtete Architekten aus Österreich stattgefunden hat.[1] In dem Ausstellungskatalog „Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur“ - wichtiger Bestandteil der Seminarlektüre - ist der Beitrag „Ein Leben, zwei Karrieren“ Zimblers Werk gewidmet.[2] Er macht deutlich, dass Liane Zimbler eine sowohl langjährig aktive wie erfolgreiche und heute dennoch nahezu unbekannte Architektin und Innenarchitektin war. Die Beschäftigung mit ihr und ihren Arbeiten zeigt eine vielseitige, kreative und individuelle Entwerferin. Zimbler war zudem eine gründliche Beobachterin der jeweiligen Situation, in der sie tätig war. Architektonisch zuzuordnen ist sie der „gemäßigten“ Moderne, deren Sprache sie variierte aber grundsätzlich beibehielt. Ihr Wirkungskreis umfasste zwei Kulturen. Als Jüdin war sie 1938 gezwungen, ins (amerikanische) Exil zu flüchten. Dort musste sie ihre Karriere neu beginnen und sich mit den Vorgaben eines ihr bis dahin fremden Landes auseinander setzen. Sie war eine Architektin und Designerin, die europäisch geprägte Ideen in den amerikanischen Kulturkreis einbrachte. Welche Spuren das auf dem Gebiet der (Innen-)Architektur hinterlassen hat, ist ein Aspekt dieser Arbeit.

Liane Zimblers Entwürfe sind Antworten auf individuelle Problemstellungen, mit denen ihre Auftraggeber sich an sie wandten. Sie sind Ergebnisse einer bestimmten Prägung, Arbeitsweise und Fortentwicklung. Zimbler verstand es, mehrere Berufsrollen überzeugend ineinander übergehen zu lassen: Einerseits war sie eine gefragte Architektin überwiegend privater Kunden. Andererseits hat sie durch ihre Arbeit Einfluss über den Einzelauftrag hinaus genommen und Ideen des modernen Wohnens verbreitet. Zimblers Leben und Werk steht - in Österreich und den USA - auch stellvertretend für das anderer, die mit der gleichen Situation konfrontiert waren.

Ein weiterer Grund, Liane Zimbler in diesem Rahmen vorzustellen, ist, dass sie trotz ihrer regen Tätigkeit zu den heute unbekannten Architektinnen zählt. Sie gehört zu den vielen Exilanten, deren Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen wurde. Einen der ersten großen Schritte, diesem Verhalten entgegen zu wirken, unternahmen die Initiatoren der Ausstellung „Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur.“ Heute bekannte Architekten wie Richard Neutra aber auch vor allem unbekannte Architekten wurden anhand ihrer Biografien und ihres Schaffens vorgestellt. Sie alle hatten gemeinsam, dass sie Österreich zwischen 1910 und 1940 verließen, um im (zumeist) amerikanischen Exil ihre Situation zu verbessern. Das geschah bei den Auswanderern der „ersten Welle“ vor 1933, zu der Joseph Urban, Rudolph Schindler und Richard Neutra gehörten, hauptsächlich aus wirtschaftlicher Not. Nach der Machtergreifung Hitlers und speziell dem „Anschluss“ Österreichs an Großdeutschland im März 1938 sahen sich die Vertreter der „zweiten Welle“ - überwiegend jüdische Architekten - gezwungen, ins Exil zu flüchten. Damit verließ eine große Zahl von Vertretern, die das kulturelle Leben der Zwischenkriegszeit in Österreich beziehungsweise Wien geprägt hatten, das Land. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte nur in Ausnahmen eine Geste der Wiedergutmachung von österreichischer Seite, weshalb viele Exilanten sich entschieden, nicht zurückzukehren. Die Beteiligung am kulturellen Leben fand mit der Flucht jedoch kein Ende. Mit unterschiedlichem Erfolg versuchten die Vertriebenen, im Gastland ihre Tätigkeiten fortzusetzen.

Unter den Architekten, die in dem Ausstellungskatalog vorgestellt werden, ist Liane Zimbler die einzige Frau. Diese Sonderstellung ist nur auf den ersten Blick auffällig. Wenn man die Vorreiterrolle der Frauen bedenkt, die Berufe und speziell „Männerberufe“ am Anfang des 20. Jahrhunderts ergriffen, verwundert das nicht. Auch in dieser Hinsicht ist Zimbler eine wichtige Vertreterin ihrer Zeit. Sie ist die erste Architektin Österreichs, die diesen Titel offiziell führen durfte. Dennoch ist sie bis heute weit weniger bekannt als die fünf Jahre jüngere Margarete Schütte-Lihotzky.

Neugierig geworden und durch die Rechercheergebnisse bestärkt, soll in dieser Arbeit Liane Zimblers Werdegang nachvollzogen werden. Das geschieht anhand einer „Spurensuche“. Um die Suche nicht wahllos werden zu lassen, braucht sie ein Gerüst. Die Betrachtung des Werks der Architektin stellt das zentrale Thema dar. Dabei wird die Verlagerung ihres Tätigkeitsschwerpunkts von der Architektur zur Innenarchitektur deutlich. Die Arbeit untersucht das Besondere an Liane Zimblers Arbeitsweise und den zeitlichen Kontext, in dem sie entstand. Dabei stellt sich die Frage nach einem eigenen künstlerischen Weg Zimblers und ob sich dieser im Exil unter den dortigen Bedingungen änderte. Weitere Fragen sind die nach Einflüssen, die Zimblers Entwürfe ausübten und welches Résumée sich aus den gesammelten Beobachtungen ziehen lässt.

 

1.2            Recherche und quellen

 

Der geringe Bekanntheitsgrad Liane Zimblers zeigt sich bereits daran, dass im deutschsprachigen Raum außer dem Beitrag von Sabine Plakolm-Forsthuber „Ein Leben, zwei Karrieren“ des Ausstellungskatalogs „Visionäre & Vertriebene“, einer Kurzdarstellung und zwei Zeitungsartikeln keine veröffentlichten Informationen über sie zu finden sind.[3] In der Literatur zu österreichischer Architektur oder Architekten im Exil wird ihr Name nicht erwähnt. Sie wird lediglich im Zusammenhang mit der Wohnungsadaption einer ursprünglich von Adolf Loos eingerichteten Wohnung genannt.[4] Eine Computerinstallation von Peter Weibel mit dem Titel „Vertreibung der Vernunft. Der kulturelle Exodus aus Österreich“ zählt die Namen und Kurzbiografien von ungefähr 4000 Vertretern des kulturellen Lebens auf, die seit 1930 durch die Nationalsozialisten getötet oder ins Exil getrieben wurden.[5] Wer sich die Zeit nimmt, bis zum Buchstaben „Z“ zu warten, kann Liane Zimbler in dieser Auflistung entdecken.

Die Beschäftigung mit Zimblers Arbeit durch die Lektüre des Katalogbeitrags „Ein Leben, zwei Karrieren“ weckte meine Neugier. Die zunächst spärlich wirkende Quellenlage motivierte zur weiteren Suche.

Den Kern der Recherche bildete die private Materialsammlung von Sabine Plakolm-Forsthuber, die sie mir vollständig zur Verfügung stellte. Die Sammlung beinhaltet Dias, Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte, Gesprächsprotokolle, Briefwechsel und zwei kurze Lebensläufe, die Liane Zimbler in den Jahren 1978 und 1981 verfasste. Um einen Überblick zu gewinnen, fuhr ich im Februar 2002 zum ersten Mal nach Wien. An der dortigen Technischen Universität konnte ich eine erste Sichtung der Unterlagen vornehmen. Der weitere Informationsaustausch fand zunächst per eMail statt.

Bei einem zweiten Besuch in Wien im Oktober 2002 ging ich gezielt auf die Suche nach Material zur Vertiefung und Erweiterung meiner Kenntnisse. Dazu ergänzte ich das Vorhandene durch eine weitere Durchsicht des Archivs von Frau Plakolm-Forsthuber und besprach mit ihr die gesammelten Fragen. Sie ließ mich außerdem eine Auswahl ihrer Dias treffen, um Duplikate herstellen zu lassen. Weiteres Bildmaterial stellte mir Matthias Boeckl, Herausgeber des oben genannten Ausstellungskatalogs, zur Verfügung.[6]

Fündig wurde ich auch in den Akten der Baupolizei. Zu drei realisierten Bauvorhaben Liane Zimblers begab ich mich auf die Suche nach Plänen und Korrespondenz - in zwei Fällen mit Erfolg. Im Archiv fotografierte beziehungsweise kopierte ich die zugehörigen Unterlagen. Um einen Eindruck vom heutigen Zustand zu bekommen, suchte ich die jeweiligen Adressen auf und fotografierte dort ebenfalls.

Als sehr kooperativ erwies sich Eva Huebscher, die in Los Angeles lebende Tochter und langjährige Büropartnerin Liane Zimblers. Durch diese Doppelrolle konnte sie telefonisch zu persönlichen und fachlichen Fragen Auskunft geben.

Einzelne „Mosaiksteine“ sammelte ich wiederum durch eMail- Austausch. Der eMail–Kontakt mit Mitarbeiterinnen des „International Archive for Women in Architecture“ (IAWA) der Virginia Tech, Blacksburg, USA, ergab, dass dort eine Fülle zusätzlichen Materials aufzuarbeiten sein wird. Dorthin gab Eva Huebscher den gesamten Nachlass Zimblers.

Peter Gössel, der Herausgeber eines Buches über den Architekturfotografen Julius Shulman, teilte mir dessen Anschrift in Los Angeles mit.[7]

Shulmans Tochter Judy McKee hat sich für mich auf die Suche nach Fotografien von Arbeiten Zimblers begeben. Eine Liste von Projekten, die ihr Vater zwischen 1946 und 1974 fotografierte, bestätigt, dass der amerikanische Anteil von Zimblers Entwürfen eine weitere Untersuchung erfordert. Zufällig fand Julius Shulman ein altes Notizbuch, indem er Projekte aus seiner Anfangszeit als Architekturfotograf vermerkte, die bisher nicht Eingang in sein offizielles Archiv gefunden haben. In dem Notizbuch befand sich ein Umschlag mit längst vergessenen Negativen. Judy McKee vermutet unter ihnen Abbildungen eines Hauses von Liane Zimbler.[8] Über Umwege entstand der Kontakt mit einem Enkel des ehemaligen Auftraggebers für dieses Haus. Er gab mir Informationen zu dessen aktuellem Zustand.

Mit all dieser Hilfe ist ein Überblick über das Leben und Werk Liane Zimblers entstanden. Er ist mittlerweile umfangreich genug für ein aussagekräftiges Bild, das den Hauptteil dieser Arbeit darstellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Wiener Zeit (Kapitel 2), wo Liane Zimblers Entwicklung als Architektin begann und wo sie 20 prägende Jahre ihrer Berufstätigkeit verbrachte. Kapitel 3 beschäftigt sich mit ihrem Neubeginn als Architektin im kalifornischen Exil. Die Zusammenfassung am Ende der Arbeit bündelt die gewonnenen Erkenntnisse. Abbildungen ergänzen die ausgewählten Beispiele und sind je nach Umfang des Projekts für ein oder mehrere Kapitel zusammengefasst. Im Anhang befindet sich eine Auswahl der untersuchten Texte.

 



[1] Das Seminar „Adolf Loos und mehr. Migration und Kulturtransfer in die USA“ fand im Wintersemester 2001/´02 unter Leitung von Dr. Christine Holste, Lehrbeauftragte am Fachgebiet für Planungs- und Architektursoziologie der TU-Berlin, statt.

[2] Der Katalog „Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur“ erschien zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 24.02. bis 16.04.1995 in der Kunsthalle Wien zu sehen war. Sie bedeutete die bis dahin umfassendste Auseinandersetzung mit österreichischen Exil-Architekten. Der Beitrag „Ein Leben, zwei Karrieren“, S. 295ff, stammt von Sabine Plakolm-Forsthuber. Sie ist Professorin am Institut für Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Industriearchäologie an der TU-Wien.

[3] Die Kurzdarstellung in „Künstlerinnen in Österreich 1897-1938“ im Kapitel „Funktionalität und Eleganz im Privatraum“, S. 237ff, und die Artikel „Klappbett, Wintergarten und eine Villa für Ernst Toch“ („Die Presse“, 6./7.11.1993, Wien) und „Funktionalität und Eleganz“ (AUF, Heft Nr. 83, S. 4ff, März 1994, Wien) stammen ebenfalls von S. Plakolm-Forsthuber.

[4] In B. Rukschcio und R. Schachel: „Adolf Loos – Leben und Werk“, S. 489

[5] Die Installation wurde 1993 auf der Biennale in Venedig ausgestellt und war im Februar 2002 im Museum Leopold im Museumsquartier Wien zu sehen. Peter Weibel ist mit Friedrich Stadler Herausgeber der Bände „Vertriebene Vernunft I“ und „Vertriebene Vernunft II“ (1987 und 1995), eine Sammlung (auto-)biografischer Berichte und verschiedener Studien zum Thema Emigration und Exil der österreichischen Wissenschaft.

[6] M. Boeckl ist Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

[7] „Julius Shulman - Architektur und Fotografie“

[8] Das Haus des Wiener Komponisten und Exilanten Ernst Toch wird in Kapitel 3.3.1 vorgestellt.




 
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