2          LEBEN UND WERK LIANE ZIMBLERS VOR DEM EXIL

Liane Zimblers Wiener Zeit umfasst nach ihrer Ausbildung ein breites Spektrum an Tätigkeiten auf verschiedenen Entwurfsgebieten. Sie befasste sich mit grafischen und kunstgewerblichen Aufträgen, entwarf Kleider und Möbel und war als Zeichnerin in einem Architekturbüro beschäftigt. Erste eigene Aufträge als Architektin erhielt sie von Verwandten für Wohnhäuser. Nach dem zunächst größten Auftrag für das Bankhaus Ephrussi wandte sie sich - inzwischen selbstständig arbeitend - verstärkt der Innenraumgestaltung zu. Meist von privaten Kunden erhielt Zimbler den Auftrag, deren Wohnungen den veränderten Lebensumständen anzupassen. Sie entwickelte ihr Spezialgebiet, das „kombinierte Zimmer“, wo Privatleben und Berufstätigkeit auf engem Raum ineinander übergingen. Außerdem richtete Zimbler Läden und Büros ein. Gegen Ende ihrer Wiener Karriere nahmen umfangreichere Aufträge, wie die Umgestaltung einer ehemals großbürgerlichen von Adolf Loos eingerichteten Wohnung, die Einrichtung der Villa Plaček in Brünn und mit dem Haus Gnadenwald die Errichtung eines vollständigen Gebäudes, wieder zu. Parallel zu ihrer Entwurfs- und Bautätigkeit beteiligte sich Liane Zimbler konzeptionell und mit Exponaten an Ausstellungen und war in der Lehre tätig (Abb. 1).

 

2.1             biografisches und erste arbeiten

 

2.1.1   Von der Ausbildung zum eigenen Atelier

Liane Zimbler war trotz der wirtschaftlich schwierigen Situation, in der sie als Architektin in Wien tätig war, erstaunlich produktiv. Die massiven Probleme nach dem Ersten Weltkrieg wirkten sich lähmend auf den Bausektor aus. Trotzdem war ihre Auftragslage stabil. Sichtbare Zeichen ihrer Bautätigkeit sind allerdings kaum erhalten. Die bisherige Untersuchung von Bauakten hat ergeben, dass in Wien keine von Liane Zimbler errichteten Gebäude mehr existieren. Da sie in zunehmendem Maße Innenraumgestaltungen für private Kunden vorgenommen hat, ist der Zugang und damit die Beurteilung eventuell erhaltener Beispiele erschwert. Dennoch ist anhand zahlreicher Veröffentlichungen über ihre Arbeit und eigene äußerungen in Artikeln und Vorträgen nachvollziehbar, welche Gedanken hinter ihren Entwürfen standen. Bilddokumentationen realisierter Beispiele zeigen, wie Zimbler diese Ideen in die Praxis umgesetzt hat.

Bevor nun die Zeit Liane Zimblers als Architektin in österreich, von den 1920er Jahren bis zur Flucht ins kalifornische Exil 1938, beleuchtet werden soll, erfolgt die Darstellung ihres Werdegangs bis zur Etablierung des eigenen Ateliers.

Liane Zimbler wurde als Juliane Angela Fischer am 31.05.1892 als eine von zwei Töchtern einer jüdischen, assimilierten Familie in Prerau (Mähren) geboren. Berufsbedingt wurde der Vater zehn Jahre später nach Wien versetzt; er war Oberinspektor bei der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn.

Die Quellenlage zu den Stationen der Ausbildung Liane Zimblers ist lückenhaft. Zunächst waren die beiden Schwestern zuhause unterrichtet worden. Liane entschloss sich, nach Absolvierung der Realschule an die Wiener Kunstgewerbeschule zu gehen. Wahrscheinlich hat sie dort einen Abschluss gemacht. Zimbler besuchte an dieser Schule auch die Architekturklassen. In einem Lebenslauf schreibt sie 1973 rückblickend, dass sie die Fächer Design und Graphik nicht ausgefüllt hätten. Josef Hoffmann, Professor an dieser Schule, war ihr bekannt. Ob Hoffmann einer von Zimblers Lehrern war, ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Die spätere Nachbarschaft in der Schleifmühlgasse könnte eine weitere Möglichkeit gewesen sein, sich zu begegnen. Hoffmann war Sezessionsmitglied und Mitbegründer der Wiener Werkstätte.[1] Hoffmanns Ziel war, Kunst und hochwertiges Handwerk miteinander zu verbinden. Dekoratives war nicht verpönt, weshalb er sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit Adolf Loos befand. Hoffmann gab seine Auffassung vom ständigen Wandel der Formensprache in der Zeit des übergangs vom Historismus zur Moderne durch seine Lehrtätigkeit weiter. An Zimblers späterer Büroorganisation und realisierten Entwürfen lässt sich ein Einfluss ablesen, der dem von ihm vermittelten überzeugungen entsprochen haben könnte.

Die Wiener Kunstgewerbeschule war studierenden Frauen gegenüber aufgeschlossener als andere Ausbildungsstätten. An der Technischen Universität Wien musste Zimbler sich mit dem Status einer außerordentlichen Hörerin begnügen. Dort wurden Frauen erst 1919/20 zum offiziellen Studium zugelassen. Die Wiener Akademie der bildenden Künste benötigte noch ein weiteres Jahr, bis sie Studentinnen aufnahm.[2] Diese Indizien weisen auf den allmählichen Umbruch im Rollenverständnis der Geschlechter hin, der sich in diesen Jahren, durch die Kriegsjahre forciert, vollzog, und einen Teil der gesellschaftlichen Veränderungen darstellt.

Liane Zimbler arbeitete schon vor ihrer Berufstätigkeit als Architektin als Grafikerin und Illustratorin. Beispiele für Letzteres sind die Einbandentwürfe der Bücher „Der zerrissene Schleier” und „Das Lachen der Masken“[3] (Abb. 2/3). Zimbler entwarf außerdem Möbel für die Firma Bamberger und Kleider für das bekannte Reformmodeatelier Emilie Flöge. Sie übte ihr zeichnerisches Talent und entwickelte einen sicheren Umgang mit Stoffen und Farben. Der vielseitige Einsatz ihrer Fähigkeiten bedeutete eine gute Vorbereitung für die spätere Tätigkeit. Außerdem übernahm sie schon als sehr junge Frau die Verantwortung, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren und unterstütze mit ihrer Arbeit auch die Familie. Liane Zimbler brachte also Voraussetzungen mit, die ihr die damals nicht selbstverständliche Rolle als berufstätige Frau erleichtert haben wird. Ihre Vielseitigkeit machte sie flexibel, so dass sie sich bei späteren Aufträgen allen Bereichen zuwenden konnte. Sie gestaltete nicht nur die Hülle von Gebäuden, sondern auch deren Inneres. Bei Aufgaben, die ausschließlich den Innenraum betrafen, hatte sie dennoch die Vorstellungskraft für die Gesamtwirkung und Proportionen in größerem Maßstab. Als selbstständige Architektin hatte Zimbler die Verantwortung für die Erfüllung der Aufträge, aber auch für die ausreichende Beschäftigung ihrer Assistentinnen.

1916 heiratete sie Otto Zimbler. Er war 1890 in Wien geboren und machte sich als Rechtsanwalt mit dem Spezialgebiet Wirtschaftsrecht einen Namen. Zudem war er als Autor der „Juristischen Blätter“ und ab 1928 als deren Mitherausgeber tätig. Ihre gemeinsame Tochter Eva kam 1922 zur Welt.

Den ersten Auftrag als Architektin - als offizielle Berufsbezeichnung für Frauen sollte dieser Begriff noch lange nicht existieren - erhielt Zimbler als Mitarbeiterin im Büro Rosenzweig, wahrscheinlich wie ihre spätere Wohn- und Büroadresse in der Schleifmühlgasse gelegen: Für einen entfernten Verwandten errichtete sie 1918 ein Landhaus in Bad Aussee. Der Erweiterungsbau von 1921 stammte ebenfalls von ihr.

Vier Jahre später sollte sie für das Bankhaus Ephrussi & Co. im neunten Bezirk Wiens umfangreiche Umbauten vornehmen (siehe Kapitel 2.1.2).

Wieder für entfernte Verwandte entwarf Liane Zimbler 1924 ein Wohnhaus im Cottagestil, das Haus Wetzler in Wien-Döbling. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten (Abb. 4). Die Akte zum Grundstück in der Silbergasse 2 weist erst ab dem Jahr 1972 Unterlagen auf. Heute befindet sich dort ein Gemeindehaus der Mormonen.

Die günstige Auftragslage erforderte ein eigenes Atelier. Seit 1924 befanden sich Wohnung und Büro innerhalb desselben Hauses in der Schleifmühlgasse 5 im vierten Wiener Bezirk (Abb. 5). So konnte sich Zimbler ihren Aufträgen und ihrer Tochter zuwenden. Als Architektin, die häufig den Auftrag erhielt, Wohnen und Arbeiten in räumlicher Nähe zu ermöglichen, entsprach diese Verbindung ihrem praktischen Sinn.

Ende der 1920er Jahre gründete Liane Zimbler ein weiteres Büro in Prag, das die Architektin Annie Herrnheiser leitete. Dort wurden Aufträge von Bauherren dieser Stadt und Brünn ausgeführt, was an zwei Beispielen gezeigt wird.


Abbildungen Kapitel 2.1.1

 

Abb. 1:           L. Zimbler und Kollegen, Quelle: privat M. Boeckl

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Abb. 2:           Bucheinband „Der zerrissene Schleier“

Quelle: privat, M. Boeckl

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Abb. 3:           Bucheinband „Das Lachen der Masken“

Quelle: privat, M. Boeckl

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Abb. 4:          Haus Wetzler, Silbergasse 2

Quelle: „Visionäre & Vertriebene“, S. 296

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Abb. 5:          Wohn- und Atelieradresse Schleifmühlgasse 5, Zustand ´02

Quelle: privat, C. Gräwe

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[1] Die Wiener Werkstätte wurde 1903 durch J. Hoffmann, den Maler Koloman Moser und den Geschäftsmann Fritz Wärndorfer mit dem Ziel gegründet, dem Kunsthandwerk eine Produktionsstätte und durch Verkaufsräume ein Forum zu schaffen. Das Kunstgewerbe wurde damit gegenüber den bildenden Künsten aufgewertet und verbreitete die Formensprache des Jugendstils beziehungsweise Art Déco als Gegengewicht zur historistischen in Europa sehr erfolgreich. Serielle und somit maschinelle Herstellung war nicht ausgeschlossen, der Schwerpunkt lag jedoch auf hochqualifizierter Handwerksarbeit. Dazu wurden Künstler und Kunsthandwerker verschiedener Bereiche beschäftigt, wodurch eigene Abteilungen für Metall-, Holz-, Keramik- und Stoffarbeiten, um nur einige zu nennen, entstanden. Die Wiener Werkstätte bestand bis 1932. Der 1910/11 emigrierte Wiener Architekt Joseph Urban eröffnete 1919 oder 1920 eine Filiale in New York. Der Exportartikel „Wiener Stil“ wurde trotz der Begeisterung, die er teilweise hervorrief, nicht populär genug, so dass das Geschäft nur ein Jahr existierte.

[2] über eine angebliche Studienzeit in München existiert kein Nachweis. S. Plakolm-Forsthuber hat bei ihrer Recherche von der TU-München erfahren, dass sämtliche Unterlagen aus der in Frage kommenden Zeit verbrannt seien. In den Matrikelbüchern der betreffenden Jahrgänge im Archiv der Akademie der Künste war der Name Juliane Fischer ebenfalls nicht zu finden.

[3] Hermann von Skoda (1911, Verlag Paul Knepler), und Hans Sachs (1912, Verlag Carl Konegen)




 
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