2.2      Entwurfskonzepte und deren umsetzung

 

2.2.1   Publikationen


Viele von Liane Zimblers Arbeiten wurden in Fachzeitschriften auch außerhalb Österreichs vorgestellt. Ihre Entwürfe wurden positiv besprochen und durch diese Art der Verbreitung bekannt. Außerdem schrieb Zimbler selbst in verschiedenen Zeitschriften von ihren Beobachtungen über das zeitgenössische Architekturgeschehen und wohnungsspezifische Fragen. Diese Äußerungen sind für die Einschätzung ihrer Person und Position innerhalb der Architektenszene und des gesellschaftlichen Kontexts hilfreich. Ohne selbst Zeitzeuge zu sein, erleichtern sie die Rückblende auf eine Zeit und ihren „Geist“.

Ihre Aufmerksamkeit für das offizielle Architekturgeschehen und ihre Ansichten dazu zeigt Zimbler in dem Artikel „Rund um die Werkbundsiedlung“, erschienen im „Neuen Wiener Tageblatt“ am 20.07.1932. Dort kommentiert sie die Aufgabe einer Bauausstellung im Allgemeinen und die einzelnen Ergebnisse der Wiener Werkbundausstellung im Besonderen (Abb. 1).

Die Werkbundsiedlung entstand unter der Leitung des Architekten Josef Frank.[1] Inspiriert durch die Weißenhofsiedlung 1927 in Stuttgart, sollte sie eine Mustersiedlung des modernen Bauens werden mit der Vorgabe, auf kleinem Raum möglichst großen Wohnkomfort zu schaffen. Sie war als Gegenentwurf zu den Großprojekten des Wiener Gemeindebaus geplant. Da die einzelnen Gebäude verkauft werden sollten und sich das Angebot damit an ein zahlungskräftiges Klientel wandte, war die Wiener Werkbundsiedlung nicht Teil eines sozialen Programms.[2]

Eine Bauausstellung, so schreibt Liane Zimbler, hat die Aufgabe, durch ihren Vorbildcharakter die Wohngewohnheiten der Menschen zu beeinflussen. Sie warnt jedoch vor dem Anspruch, deren Leben vollständig zu verändern.

Trotz des gelungenen Versuchs, Beispiele für Raumökonomie aufzuzeigen, hält Zimbler die Weißenhofsiedlung für geistig und ästhetisch anspruchsvoller, was sie unter anderem mit der Auswahl der eingeladenen Architekten begründet. Sie stellt fest, dass die Stuttgarter Ausstellung durch das Zusammentragen internationaler Konzepte das Bauen seither stark beeinflusst hat.

Positiv bewertet sie bei dem österreichischen Versuch die städtebauliche Lösung und den Umgang mit der Hanglage. Sie findet hier außerdem die Stärke wieder, die Wiener Ausstellungen im Allgemeinen böten, nämlich die liebevolle Ausarbeitung der Details. Bei der Analyse einzelner Wohnungen wundert sie sich, dass auch in den mehrgeschossigen Häusern und trotz der Tatsache, dass für Familien mit zwei bis drei Kinder geplant worden ist, das Erdgeschoss grundsätzlich lediglich einen Raum aufweist.

 

„Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Nervenkondition erwünscht ist, in der alle Familienmitglieder gleichzeitig lesen, Radio hören, essen und Kinder spielen und es sie gegenseitig nicht stört, vielleicht auch nicht, daß die Hausgehilfin zu dem im ersten Stock laut brüllenden Säugling eilt, aber als Regel können solche Nerven nicht angenommen werden.“

 

Sie sieht das als Übertreibung des Experiments an, beim Ausmaß des Hauses untere Grenzen zu erreichen. Eine durch den Wohnraum geleitete Treppe wertet sie als Versuch, in verkleinertem Maßstab „die seinerzeit mit Verachtung abgelehnte durchgehende `Halle´ der Jahrhundertwende einzuschmuggeln“. Insgesamt beurteilt sie die Treppen als zu schmal und nur für Benutzer zwischen sieben und 50 Jahren geeignet. Für kleinere Kinder seien sie zu gefährlich, für ältere Menschen zu unkomfortabel. Hingegen lobt sie wegen des geringeren Wasserkonsums die häufige Verwendung von Kleinbadewannen. Namentlich erwähnt sie den Beitrag von „Häring=Berlin“ (Hugo Häring), dessen Einsatz einer Schiebewand zwischen Wohn- und Wohn-Schlafraum sie beeindruckt. Bei „Hoffmann=Wien“ (Josef Hoffmann) findet sie gelungene Dachterrassen und „wirkliche Räume“. „Wlach=Wien“ und „Lichtblau=Wien“[3] finden ebenfalls ihre Zustimmung. Bei Ersterem spricht sie von guter Raumorganisation, bei Letzterem fällt ihr die Glasschiebetür zwischen Wohnküche und Wohnraum positiv auf. An dem Gebäude von Gerrit Rietveld, dem einzigen Architekten außer Frank, der auch schon in Stuttgart mitgewirkt hatte, hebt sie das Spiel mit unterschiedlichen Raumhöhen und die großzügige Verwendung von Fenstern und Terrassenflächen hervor.

Zimbler unterstreicht in ihrem Résumée die Wichtigkeit der Ausstellung, da hier trotz kritikwürdiger Punkte eine Vielzahl guter Ideen vorgeführt werde. Außerdem betont sie, dass die meisten Fragen nur durch Überprüfung in der Praxis zu klären und weiterzuentwickeln seien. In ihrer Beurteilung klingt der Ansatz durch, den sie bei eigenen Projekten verfolgte: Auch bei räumlicher Enge und gebotener Sparsamkeit sollte der Eindruck einer gewissen Großzügigkeit der Räume hergestellt werden. Das geschah immer unter der Vorgabe, zweckorientiert und praktisch zu planen.

Zimblers Position zum modernen Leben im entsprechenden Umfeld beziehungsweise der Beitrag, den sie dazu leisten konnte, kommt auch in dem Artikel „Über die Anordnung der Einrichtungsgegenstände in der Wohnung nach praktischen und nicht allein ästhetischen Gesichtspunkten“[4] zum Ausdruck. Sie beklagt darin, dass bei der Einrichtung des Haushalts die falschen Fragen gestellt würden. Nicht die Erklärung „Weil es so am schönsten ist“ dürfe ausschlaggebend für die Nutzung der Räume und Stellung der Möbel sein:

 

„Es sind (...) oft rein dekorative Gründe in hauptsächlich praktischen Fragen entscheidend! Aber auch die Wohnung ist nach dem heutigen Zeitempfinden nur dann schön, wenn sie ihrem Zweck voll entspricht; sie wird noch viel zu sehr als eine Sache des Dekors anstatt der Organisation angesehen. Was nützen raumsparende Einzelmöbelstücke, wenn ihre Unterbringung nach falschen Gesichtspunkten erfolgt! Man muss sich also vor allem befreien von überkommenen Vorurteilen und die Sache in erster Linie vom Gesichtspunkt des Zweckes anpacken.“

 

Nach dieser allgemeinen Feststellung macht sie Änderungsvorschläge, indem sie tradierte Einrichtungsmuster mit modernen Möglichkeiten vergleicht. Sie fordert, sich von unpraktischen Möbeln wie zum Beispiel dem verbreiteten schweren Buffet zu verabschieden. Den üblichen Essplatz mit großem Tisch und „6 Stühlen steif in der Mitte des Zimmers“ sieht sie als Bewegungseinschränkung. Ein zierlicherer, ausziehbarer Tisch und leichtere Stühle erfüllen nach ihrer Überzeugung den Zweck ebenso und machen die Nutzbarkeit des Raumes flexibler. Sie sieht dafür Möbel auf Rollen vor. So könne man der Alltagssituation, aber auch der Bewirtung von Gästen gerecht werden. Sie regt an, sich über die verschiedenen Verwendungen eines Zimmers Gedanken zu machen. Möbelgruppen sollten unterschiedliche Zonen innerhalb eines Raumes bilden, wofür schon ein bequemer Sessel nebst Leselampe ausreichend sei.

Als „Sorgenkind“ bezeichnet sie schwierige Grundrisse und nennt als Beispiel einen langgestreckten, einfenstrigen Raum. Doch auch ein „halbes Zimmer“ könne genutzt werden, wenn man durch quer gestellte Möbel dem Schlauchcharakter entgegenwirke. Auf voluminöse Möbel soll hier verzichtet und auf schmale Regale zurückgegriffen werden.

Die Bedeutung von Nebenräumen sieht sie als zu Unrecht vernachlässigt an. Geschickt eingerichtet eigneten sie sich, um die Wohnräume von sperrigen Schränken zu befreien. Für jeden Zweck schlägt sie einen entsprechend gestalteten Aufbewahrungsort vor, wobei auf die Belüftungsmöglichkeit dieser Möbel zu achten sei.

Neben der nutzungsorientierten Beleuchtung in der ganzen Wohnung macht sie auch auf die Be- und Entlüftung vor allem in der Küche aufmerksam. Außerdem betont sie wieder deren angepasste Einrichtung, um zeitsparend und zweckmäßig arbeiten zu können.

Als Richtlinie für die Gestaltung einer wirtschaftlich organisierten Wohnung teilt sie diese in verschiedene Tätigkeitsbereiche ein:

 

·        Essen, Kochen, Geschirraufbewahrung und -reinigung, Vorratswirtschaft, Wohnungspflege

·        Schlafen, Körperpflege, Kleider- und Wäscheaufbewahrung

·        Arbeit, Vergnügen, Geselligkeit usw.

 

Nach Zimblers Ansicht musste man sich über diese Aufteilung vor der Einrichtung klar sein. Dabei unterstreicht sie die Wichtigkeit, die Gewohnheiten, Berufstätigkeit und Lieblingsbeschäftigungen der einzelnen Familienmitglieder zu berücksichtigen.

Zimblers Fähigkeit, durch Möbelgruppen ein Zimmer in mehrere Funktionsbereiche zu trennen und trotzdem einen harmonischen Gesamteindruck zu bewahren, unterstreicht auch der Beitrag „Die Räume im Raum“.[5] Der anonyme Beitrag vergleicht einen solchen Ort mit der Natur:

 

„Wir verhalten uns im Wohnraum ähnlich wie vor der freien Naturlandschaft; ihr Totalanblick erfreut uns, aber sogleich suchen wir dann den besonderen Platz zum Verweilen, der uns speziellere Ortsgefühle verspricht.“

 

Um das zu erreichen, müsse man sich vom Ensemblegedanken und den alten Symmetrievorstellungen befreien. In Zimblers Einrichtungen sei es möglich, seinen persönlichen Lieblingsplatz zu finden.

Zimbler entwickelte durch die Analyse von individuellen und allgemeinen Bedürfnissen ein theoretisches Gerüst zum Thema Raumgestaltung. Deutlich wird an Beschreibungen realisierter Beispiele auch, dass Liane Zimbler Theorie und Praxis in Einklang brachte, sei es im Umgang mit Auftraggebern oder der Gestaltung ihrer Räume je nach deren späterer Nutzung.

 



[1] J. Frank (1885-1967) war Mitglied des Österreichischen Werkbundes und ein Vertreter der schlichten, sachlichen Linie in der Architektur. Bei der Wohnraumbeschaffung verteidigte er die Siedlungsidee gegenüber den Großprojekten der Wiener Gemeinde. Er betonte die Unmöglichkeit, einen neuen Stil schaffen zu können, wo es noch keine neue Gesellschaft gäbe. Deshalb sah er das Bauen auch als erzieherische Aufgabe. Als Jude ging er nach Schweden ins Exil, von dort 1941 nach New York, um 1947 nach Schweden zurückzukehren. In Österreich erhielt er erst 1965 wieder offizielle Anerkennung.

[2] Die Werkbundsiedlung befindet sich auf einem Hanggelände im 13. Bezirk Wiens, auch heute noch dicht am Stadtrand gelegen. Da die Kooperation mit der Gemeinde Wien problematisch verlief, konnte das Ziel, eine Alternative zu deren Großprojekten zu formulieren, nicht erreicht werden. Kurz vor Baubeginn wurde ein neues Gelände zugewiesen. Der weiche Untergrund machte aufwändigere Fundamente als geplant notwendig, was den Preis der Häuser steigerte. Nach einer langen Phase der Vernachlässigung wurde die Siedlung 1983-´85 von Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger restauriert. Sie orientierten sich am Originalzustand, beließen aber als für sinnvoll erachtete nachträgliche Veränderungen seitens der Bewohner.

[3] O. Wlach (1881-1963), der mit J. Frank mit dem damals bekannten Geschäft „Haus und Garten“ den Wiener Einrichtungsstil in Europa bekannt machte, erreichte 1939 das amerikanische Exil. Er konnte an seine österreichischen Erfolge nicht mehr anknüpfen. E. Lichtblau kam ebenfalls 1939 (1883-1963) nach New York, wo seine akademische Karriere ausbauen konnte. Im Gegensatz zu den meisten Exil-Architekten kehrte er mehrfach nach Österreich zurück und erhielt dort auch wieder Aufträge.

[4] In „Die Kunst“, 70. Band, S. 154ff, 1934

[5] In „Innendekoration“, S. 28f, 1938




 
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