2.2.2   Das kombinierte Zimmer


Die alleinstehenden berufstätigen Frauen unter Liane Zimblers Kundinnen waren nicht auf Ledigenheime oder ähnliche Einrichtungen angewiesen. Sie konnten sich dennoch häufig nur ein Zimmer leisten, in dem sie gleichzeitig wohnten und arbeiteten. Zimbler bot das sogenannte „kombinierte Zimmer“ als Lösung an. Eine Herausforderung des kombinierten Zimmers sah Zimbler darin, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Verwendungszwecken zu schaffen. Dafür entwickelte sie Mittel wie Mehrzweckmöbel und die Beschränkung der Einrichtung auf das Notwendige. Diese Mittel konnte sie in unterschiedlichen Situationen - einzelnen Zimmern und Wohnungen - einsetzen. Sie zeigte sich äußerst erfindungsreich und flexibel, um den Wünschen ihrer Klientinnen je nach Zahlungsfähigkeit zu entsprechen. Als eine allgemeine Regel stellte sie auf, dass es vermieden werden müsse, das Privatleben in der Wohnung dominieren zu lassen.

 

„Genauso falsch wäre es aber umgekehrt: den Wohnraum, das Schlafzimmer in eine finstere Ecke oder einen schlechten Nebenraum zu verbannen, um dann mit einem prächtigen Arbeitsraum prunken zu können. Ein ebenbürtiges Nebeneinander muß es sein, wenn die Lösung als geglückt bezeichnet werden soll.“ [1]

 

Darüber hinaus wollte Zimbler auch dem Bedürfnis nach gesellschaftlichem Leben in der eigenen Wohnung einen zumindest bescheidenen Rahmen geben. Grundsätzlich sorgte sie bei einem kombinierten Wohn- Schlafraum für gute Belüftung und die komplikationslose Unterbringung des Bettes. Um eine flexible Nutzung zu ermöglichen, stellten die Möbel zweckorientierte Gruppen dar. Optisch verband sie diese durch die Farb- und Materialwahl. Die Raummitte ließ Zimbler, im Gegensatz zu traditionellen Gewohnheiten, zugunsten von mehr Bewegungsfreiheit häufig leer. Mit diesem Mittel ließ sie auch in kleinen Räumen den Eindruck von Großzügigkeit entstehen.

In ihrem Artikel „Wohnung und Berufsstätte“ beschreibt Zimbler das kombinierte Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer einer Musiklehrerin (Abb. 2). Dieser Raum ist eines der Beispiele, bei denen Zimbler jedes Detail unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit bis zu Ende gedacht hat. Das Sofa dient tagsüber als zusätzliche Sitzgelegenheit. Nachts verwandelt es sich in ein Bett, wobei die Nische den Eindruck eines eigenen kleinen Raumes unterstützt. (Häufig verwendet sie auch in Schränken versteckte Klappbetten. Dabei vergisst sie nicht, ein kleines Brettchen für das Ablegen der Uhr anzubringen.) Kissen und Decke verschwinden tagsüber in einer Lade unter dem Sofa; einige Kissen können zur Zierde mit entsprechend dekorativen Hüllen liegen bleiben. Die eingebauten Kästen für Bettwäsche haben immer Lüftungsschlitze. Links und rechts in der Nische sind Regale eingebaut. Hinter dem Vorhang links verbergen sich die Waschgelegenheit mit Toilettenspiegel und Beleuchtung und ein eingebauter Schrank. Unter dem Fenster rechts erkennt man ein weiteres eingebautes Regal. In dem niedrigen Schränkchen mit Schiebetüren daneben sind die Noten untergebracht. Das Klavier muss man sich an der Stelle vorstellen, an der man als Betrachter steht. Bei der Wandmalerei handelt es sich um eine Arbeit von Marie Strauß-Likarz. Die Malerin war eine der Künstlerinnen, mit denen Zimbler in ihrem Atelier eng zusammengearbeitet hat.

Die „persönliche Note“, unverzichtbar für Liane Zimbler, besteht hier in den „zarten Ton- und Musterabstufungen (die) etwas vom Geist der Bewohnerin, einer Musikerin (zeigen).“ [2]

Das Zimmer der Musiklehrerin zeigt eine Stärke Liane Zimblers: Sie verband pragmatische Gesichtspunkte mit ästhetischen. Ihr Anspruch war die „Abkehr von falsch verstandener Repräsentation“.[3] Die enge Verbindung mit funktionellen Aspekten bedeutete dabei nicht den Verzicht auf eine schlichte Eleganz, an der die Auftraggeber in Erinnerung an „bessere Zeiten“ hingen.

Teppiche, Stoffe und Malereien sind wichtige Elemente in Zimblers Repertoire. In deren Verwendung wurde ihr immer wieder ein feinfühliger und sicherer Umgang mit Farben, Material und deren Kombinationen attestiert. Beispielsweise setzte sie mit Vorliebe bunte, helle Stoffe - oft an englischem Design orientiert - ein. Das war durch die Erfindung lichtechter Farbe möglich geworden und half ihr, die oft kleinen Räume größer wirken und eine freundliche Atmosphäre entstehen zu lassen. Ausgeführt wurden ihre Entwürfe von weiteren Künstlerinnen ihres Ateliers, die auch eigene Ideen beisteuerten.

Wenn oben von der Gemeinsamkeit der schnörkellosen Sprache bei Zimbler und Schütte-Lihotzky die Rede war, dann findet man hier deren Grenze. Im Vergleich mit der Einrichtung der Wohnung Neubacher von Schütte-Lihotzky (1925, ihr einziger privater Auftrag in Wien) stellt man neben den Parallelen wie Schlafnische, Vorhang und eingebautem Regal fest, dass der Gesamteindruck rustikaler, weniger zierlich ausgearbeitet wirkt (Abb. 3).

Das kombinierte Zimmer funktionierte auch in anderem Zusammenhang. Für ein berufstätiges Ehepaar in Prag hat Liane Zimbler (um 1929) dieses Prinzip auf deren Zweizimmerwohnung übertragen (Abb. 4/5). Das Ehepaar W. – er Schriftsteller, sie Musikerin – arbeitete zuhause.

Den beiden fast gleich geschnittenen Räumen werden jeweils zwei Funktionen zugeteilt. Die Voraussetzung hierfür ist, dass auf das Doppelbett verzichtet wird. Wieder greift Liane Zimbler in eine Tradition ein, für viele damals sicher eine nicht vorstellbare Maßnahme. Dem Künstlerehepaar scheinen die Vorzüge eingeleuchtet zu haben. Das Arbeitszimmer der Musikerin soll gleichzeitig Schlafzimmer sein. Deshalb werden hier zwei Einzelbetten untergebracht, eines davon in einer Nische, die durch einen sogenannten „Gehschrank“ entsteht (Abb. 6). (Gehschränke - begehbare Schränke zur Unterbringung der gesamten Garderobe und gleichzeitig Raumteiler - setzte Liane Zimbler auch bei anderen Gelegenheiten ein.) Die Nische kann durch einen Vorhang geschlossen werden. Das zweite Bett - ein Sofa - dient tagsüber als Sitzgelegenheit. Auf diese Weise findet der Flügel Platz. Das andere Zimmer ist als Arbeitszimmer für den Schriftsteller und gleichzeitig als Wohn-Esszimmer geplant. Obwohl in beiden Räumen viele Möbel untergebracht werden müssen, sind diese so angeordnet, dass man beim Betrachten des Grundrisses den Eindruck von ausreichend Bewegungsfreiheit hat. Der Bereich der Verbindungstür ist frei von Hindernissen.

Ein weiteres Beispiel für eine Wohnungsumwandlung mit kombinierten Zimmern ist anhand des Vergleichs der Zustände „vorher“ und „nachher“ an den Grundrissen gut nachvollziehbar (Abb. 7/8). Es handelt sich um eine Dreizimmerwohnung mit integrierter Praxis einer Ärztin in Wien. Da Zimbler sie in der Zeitschrift „Die Kunst“ im Oktober 1931 bespricht[4], ist anzunehmen, dass der Umbau kurz vorher stattgefunden hat. Auch hier muss sich das Ehepaar Dohan von der bisher üblichen Aufteilung in Schlaf- und Esszimmer verabschieden. Letzteres wird zugunsten eines Untersuchungsraums durch eine Holzwand verkleinert. Dieser Raum hat allerdings den Nachteil, nur spärlich durch ein Fenster zum Lichthof mit matten Scheiben belichtet zu werden. Der Raum, der während der Sprechstunden als Wartezimmer genutzt wird, ist außerhalb dieser Zeiten das Esszimmer (Abb. 9). Angrenzend richtet Zimbler im ehemaligen Schlafzimmer mit Doppelbett das „Zimmer der Dame“ ein. Die Raummitte wird wiederum frei gelassen. An den Wänden finden schon bekannte Möbel wie die Sofa-Bett-Kombination und der Gehschrank Platz, außerdem ein Schreibtisch. Dem gegenüber in der anderen Raumecke nahe am Fenster entsteht eine Leseecke mit Sessel (Abb. 10). Das deutlich kleinere „Zimmer des Herren“ hat ebenfalls ein Einzelbett und neben Stauraum in Schränken eine Sitzecke. Das Badezimmer ist für die Zeit sehr modern mit schwarz-weißen Bodenfliesen und gelbem Gummivorhang eingerichtet. Küche und Flur werden weitgehend im alten Zustand belassen.


Abbildungen Kapitel 2.2.1, 2.2.2

 

Abb. 1:           M. Schütte-Lihotzky: Beitrag Werkbundsiedlung 1932,

Zustand 2002,Quelle: privat C. Gräwe

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Abb. 2:           Kombiniertes Zimmer einer Musiklehrerin

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 3:           M. Schütte-Lihotzky: Whg. Neubacher 1925

Quelle: „Künstlerinnen in Österreich“, S. 249

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Abb. 4:           Grundriss Wohnung W. um 1929,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 5:           Diele Wohnung W. um 1929,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 6:           Schlafnische Whg. W. um 1929,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 7:           Grundriss Whg. Dr. Dohan vorher,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 8:           Grundriss Whg. Dr. Dohan nachher um 1931

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 9:           Ess- u. Wartezimmer Whg. Dr. Dohan um 1931,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 10:           Zimmer der Dame Whg. Dr. Dohan um 1931,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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[1] Aus Liane Zimbler: „Wohnung und Berufsstätte“ in „Die Kunst“, S. 225, Juli 1934

[2] Ebd.

[3] Aus Liane Zimbler: „Die Mittelstandswohnung von gestern und heute“ in „Die Österreicherin“, 1930

[4] „Eine umgearbeitete Kleinwohnung“




 
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