2.2.4   Der Umbau von der Goldman- zur Sabel-Wohnung


Liane Zimbler war in den 1920er und 1930er Jahren zunehmend auf dem Gebiet der Innenraumgestaltung beschäftigt. Sie war als Innenarchitektin an der Entwicklung eines neuen Berufs beteiligt, bevor es diese spezielle Bezeichnung offiziell gab. Diese Schwerpunktverschiebung war einerseits die Reaktion auf den Mangel an Projekten, die den Entwurf des gesamten Hauses beinhalteten. Andererseits scheint Zimbler damit keine reine Vernunftentscheidung getroffen zu haben. Die konventionell wirkenden Beispiele ihrer Hausentwürfe könnten ein Zeichen dafür sein, dass ihr Talent und ihre Experimentierfreudigkeit stärker bei der Innenraumgestaltung lag. Bei einer solchen Behauptung ist allerdings Vorsicht geboten, da die geringe Zahl von Häusern wenig Vergleichsmöglichkeit bietet. Das verlässlichere Argument ist die Beschäftigung mit den zahlreichen und überzeugenden Einrichtungsbeispielen.

Besonderen Stellenwert in der Wiener Zeit Liane Zimblers hat der Auftrag zum Umbau der Wohnung Goldman in der Hardtgasse 27-29. Der Umbau dieser Wohnung ist das umfassendste Beispiel für Zimblers Tätigkeit als Innenarchitektin. Die Aufgabe muss aus verschiedenen Gründen sehr reizvoll gewesen sein. Sie umfasste die Umgestaltung und Neueinrichtung einer ehemals herrschaftlichen Wohnung. Hier konnte Zimbler ihre Maxime der schlichten Eleganz, die sie schon so oft überzeugend umgesetzt hatte, ohne die sonst meist übliche Platz- und Budgetbeschränkung anwenden. Außerdem war sie sich der Bedeutung ihres bekannten Vorgängers Adolf Loos bewusst, der diese Wohnung ursprünglich 1911 eingerichtet hatte.

Die Akte des Grundstücks erwähnt eine Bebauung das erste Mal 1885. Bis 1909 werden Veränderungen baulicher Art und der Besitzverhältnisse verzeichnet. Von diesem Jahr an ist der Eigentümer Leopold Goldman. Pläne und Schriftstücke dokumentieren einen Neubau. Im Werkverzeichnis ist das Gebäude als Entwurf Adolf Loos´ geführt.[1] Bei der Betrachtung der großbürgerlichen, dekorierten Fassade verwundert diese Herkunft. Loos wandte sich bekanntermaßen gegen historistische Stilelemente und polemisierte gegen Ornamentik im Allgemeinen. Auch die deutlich erkennbare „Belétage“ ist untypisch.[2] Die Erklärung im Willen des Bauherren zu suchen, ist nicht überzeugend. Leopold Goldman war auch Auftraggeber von Loos´ berühmtem und damals umstrittenen Michaelerhaus für seine Bekleidungsfirma Goldman & Salatsch 1909. Er kannte „seinen“ Architekten spätestens seit der Erteilung des ersten Auftrags an Loos 1898 (Abb. 1/2/3).

Die Pläne zeigen ein Gebäude, das aus Mitteltrakt und zwei Seitenarmen besteht. Der zum Garten orientierte Teil des Mitteltrakts ist durch einen glasgedeckten Lichthof mit dem zur Straße gelegenen verbunden und ein Stockwerk niedriger. (Abb. 4) Als Bauleiter unterschreibt Ernst Epstein, der diese Funktion bereits beim Michaelerhaus innehatte.[3] Zu Liane Zimbler besteht ein indirekter Bezug: Epstein war der Architekt des Hauses in der Schleifmühlgasse 5, Zimblers Wohn- und Büroadresse.

Im Hochparterre des Mitteltrakts ließ sich Leopold Goldman 1911 von Loos eine repräsentative Wohnung einrichten (Abb. 5). Abbildungen zeigen die Verwendung edler Materialien. Es war die charakteristische Wohnung einer wohlhabenden Familie. Aus dem Protokoll eines Telefongesprächs mit der Tochter der neuen Bewohner geht hervor, dass die Familie Goldman eines der Opfer der wirtschaftlichen Depression war.[4] Die Firma sei in Konkurs gegangen und die Wohnung 1933 verkauft worden. Der Zustand der Wohnung wurde als verwahrlost beschrieben. Wahrscheinlich mietete Familie Sabel sie 1936. In diesem Jahr jedenfalls erfolgte der Auftrag an Liane Zimbler.

Was Zimbler an Resten der ehemals edlen Ausstattung vorfand, wie Marmorverkleidungen, Holzpaneele und Kamine, behandelte sie behutsam, um möglichst viel davon zu retten. Insgesamt jedoch wurde der Charakter der Wohnung deutlich geändert. Das machen der Vergleich zwischen Innenraumaufnahmen des Zustands 1911 und nach Abschluss der Umgestaltung 1936 sowie Veröffentlichungen[5] deutlich. Nach dem Umbau wirkt die Atmosphäre durch die Verwendung zierlicher Möbel und heller Farben leichter.

Im Souterrain sind kaum Eingriffe erkennbar, schon gar nicht in die Grundrissgestaltung. Lediglich die Nutzungen der Räume ändern sich. Beispielsweise ist in der ehemaligen Werkstatt jetzt die Zentralheizungsanlage, Teil des Auftrags, untergebracht. Die mittig liegende Gartenhalle wird Tanzsaal genannt (Abb. 6/7/8).

Zimbler trennt Hochparterre und Souterrain voneinander, indem sie die Zugänge, links und rechts hinter der Haustür gelegen, vermauert. Sie schließt ungünstige Türöffnungen und durchbricht Wände an anderer Stelle. Teilweise senkt sie Decken, um ihrem Sinn für Raumproportionen zu entsprechen (Abb. 9/10). Bei der Umwandlung des Schlafzimmers in ein Herrenzimmer mit Bettnische in der ehemaligen Veranda schließt sie den Zugang zur Garderobe. Diese wird zum Badezimmer, das jetzt durch eine neue Tür von der Schlafecke aus erreichbar ist. Den Pfeiler, der auf dem Grundriss als „Demolierung“ gekennzeichnet ist, entdeckt man auf der Abbildung des Herrenzimmers nach wie vor (Abb. 11).

Die beiden Pfeiler zwischen dem Esszimmer und einer früheren Loggia entfernt Zimbler tatsächlich. Die Last wird durch einen Stahlträger und den Wandpfeilern hinzugefügte Verstärkungen auf beiden Seiten der Öffnung abgefangen. Zusammen mit einer weiteren Veranda ergibt sich ein heller und großzügiger Raum. Auch hier rückt sie den Esstisch aus der Mitte des Zimmers. Blickfang ist eine Vitrine mit Gläsern und Tafelgeschirr (Abb. 12/13).

Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Stoffen und Farben ist das Musikzimmer, der ehemalige Salon: Das Sofa lässt Zimbler korallenrot, die Sessel grün, weiß und braun beziehen. Die farbigen Möbel kontrastieren mit den hellen Wänden und einem mit weißem Leder bespannten Schrank (Abb. 14).

 

„The very core of a typical Viennese home is the music room (...). Undeniable the character of the home shows a special Viennese touch, and this effect is achieved without any superfluous ornaments“. [6]

 

Ob das als Hinweis auf das Wien-Bild aus amerikanischer Perspektive gedeutet werden kann, oder dem Autor Wolfgang Born bürgerliche Wiener Wohnungen vertraut waren, bleibt offen. Er erweist sich jedenfalls als „Fan“ von Liane Zimblers moderner Architektursprache.

Eine weitere Veränderung betrifft die Vergrößerung des Damenzimmers. Nur eines der beiden Bäder wird beibehalten, wodurch Fläche für die Schlafnische des Damenzimmers gewonnen wird. Das Bad ist von hier und von einem der Kinderzimmer, das in seiner Größe und Lage erhalten bleibt, zugänglich. Seine Ausstattung ist für die Zeit sehr modern, wie zum Beispiel die indirekte Beleuchtung des Spiegelschranks zeigt (Abb. 15). Den ehemaligen Raum der Gouvernante erklärt Zimbler zum zweiten Kinderzimmer. Es hat keinen eigenen Zugang. Den früheren Durchgang von der Halle zu Boudoir und Schlafzimmer wandelt sie in eine Garderobe um, die vom Herren- und Damenzimmer aus erreichbar ist.

Das Gästezimmer, gegenüber dem Kinderzimmer gelegen, bleibt dieser Nutzung vorbehalten. Einen kleinen Teil trennt Zimbler durch eine leichte Wand ab. Dadurch erhält sie die sogenannte „Ablage“, die Garderobenzwecken gedient haben könnte.

Die Veränderungen in der Halle schließlich sind ebenfalls durch den Vergleich von Abbildungen nachvollziehbar. Das Eichenpaneel der Loos-Ausstattung erhält beziehungsweise restauriert Zimbler. Sie schließt die Maueröffnungen, die auf dem Grundrissplan vom Juli 1909 links und rechts des Kamins zu erkennen sind. Die beiden Heizkörper sind Zeichen der neuen Zentralheizungsanlage. Eine Innenraumaufnahme vom Zustand 1911 lässt links einen Vorhang vermuten, während sich rechts über einem Ofen eine verspiegelte Nische zu befinden scheint.[7] Anstelle des Kamins setzt Zimbler den neuen Durchgang zum Musikzimmer. Sie rückt die Sitzgruppe aus der Mitte des Raumes an die linke Seite. Zimbler-typisch sind die leicht wirkenden Möbel und die Drapierung des geblümten Vorhangs um die Tür. Auf dem Foto nicht eindeutig erkennbar ist die Kaminnische, die als Teil der neuen Sitzecke beschrieben wird (Abb. 16/17).[8] Eine gleichermaßen praktische wie auch schöne Bar, die im geschlossenen Zustand einen kleinen Tresen und Barhocker mit Chromgestellen enthält, verbirgt sich hinter der hellen Tür rechts der Sitzgruppe. Die Falttüren sind von Strauß-Likarz bemalt. Diese Bar war Bestandteil der Eingangshalle und wird in allen Beschreibungen hervorgehoben (Abb. 18).

Else Hoffmann sieht in der Einrichtung Einflüsse der Pariser Wohnkultur, die Liane Zimbler bei einer Vortragsreise, die kurz zuvor stattgefunden hatte, gesammelt und nach Wien importiert hat.

 

(...) Verwertung von Natureiche, unfurniert in Verbindung mit kostbaren Pergamentbespannungen, derbe Weidengeflechte als Paravent oder Vorsatz für die Zentralheizungskörper verwendet (...) eine Rückkehr zur Natur (bedeutet).“ [9]

 

Im Umgang mit der Beleuchtungstechnik sieht sie ebenfalls Eindrücke aus „der Lichtstadt Paris“. Damit meint sie den Einsatz indirekter Beleuchtung durch Deckenstrahler und versteckte Lichtquellen, die die Raum- und Farbwirkung unterstützen.

Von der modernen Haustechnik zeigt sich Wolfgang Born beeindruckt. In seinem Artikel „A family flat inVienna“ heißt es:

 

„Technically, the flat is now provided with the most modern means. Cooking, as well as nearly all the other household work, is done by electricity. An old-fashioned kitchen stove serves to replace the electric stove in case of emergency. An automatically working oil stove heats all the rooms." [10]

 

Die tschechisch-stämmige Familie Sabel konnte die Wohnung nicht lange genießen. Wegen der Bedrohung durch die Nationalsozialisten ging sie 1938 ins Exil. Einige der Möbel nahmen Sabels mit. Manche sind heute noch in Gebrauch, so zum Beispiel die Bar.[11]

Bis auf die geretteten Möbel ist vom Zimblerschen Umbau nichts erhalten. Die Wohnung wurde 1945 fast vollständig durch Bomben zerstört. Seitdem dokumentiert die Bauakte vielfältige Veränderungen. Die beiden Seitenarme des Hauses existieren äußerlich fast unverändert. Vom Mittelteil ist lediglich der Portikus noch vorhanden. Verglichen mit der Zeichnung der Straßenfassade von 1909 erkennt man, dass auch er sich nicht mehr im originalen Zustand befindet (Abb. 19).


Abbildungen Kapitel 2.2.4

 

Abb. 1:           Lageplan 1909 Hardtgasse 27-29,

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 2:           Straßenansicht 1909,

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 3:           Gartenansicht 1909,

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 4:           Ansicht/Schnitt 1909,

Quelle: Archiv Baupolizei IX. Bezirk Wien

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Abb. 5:           Entrée 1911,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 6:           Grundriss Souterrain 1909,

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 7:           Plan für Ölfeuerungsanlage 1936

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 8:           Grundriss Souterrain 1936,

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 9:           Grundriss Hochparterre 1909

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 10:         Grundriss Hochparterre 1936

Quelle: Archiv Baupolizei IXX. Bezirk Wien

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Abb. 11:         Herrenzimmer 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 12:         Esszimmer 1911,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 13:         Esszimmer 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 14:         Musikzimmer 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 15:         Bad 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 16:         Empfangshalle 1911,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 17:         Empfangshalle 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 18:         Bar 1936,

Quelle: privat S. Plakolm-Forsthuber

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Abb. 19:         Hardtgasse 27-29,

Zustand 2002, Quelle: privat C. Gräwe

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[1] Siehe Werkverzeichnis zusammengestellt von A. Opel in Ludwig Münz „Adolf Loos“, S. 89 und B. Rukschcio und R. Schachel: „Adolf Loos – Leben und Werk“, S. 487

[2] Schon Otto Wagner hatte mit der traditionellen, dem Palastbau entlehnten Aufteilung bürgerlicher Wohnhäuser gebrochen. Die Erfindung des Fahrstuhls trug zur „Gleichberechtigung“ der Stockwerke bei, was sich auch in der Fassadengestaltung niederschlug.

[3]Für das „Haus Ernst Epstein“ in der Hardtgasse 25 entwarf Loos das Treppenhaus und die Eingangshalle. E. Epstein selbst war einer der vielen jüdischen Architekten, die ins Exil flüchten mussten. Im Herbst 2002 war eine Ausstellung des Jüdischen Museums Wien seinem Werk gewidmet.

[4] Das Gespräch führte S. Plakolm-Forsthuber Mitte der 90er Jahre mit Grete Weiner, die zum Zeitpunkt des Umbaus 16 Jahre alt war.

[5] „Eine Wohnung im Döblinger Cottage von Arch. Liane Zimbler“ in: „Österreichische Kunst“, S. 16ff, 1936 und „A family flat in Vienna“ von Wolfgang Born in: „Studio“, S. 33ff, 1937

[6] Aus „A family flat in Vienna“ von Wolfgang Born in: „Studio“, S. 33, 1937. Dass es sich um eine ursprünglich von Loos eingerichtete Wohnung handelt, wird im Gegensatz zu Beschreibungen in deutschsprachigen Zeitschriften nicht erwähnt.

[7] Die Qualität der Abbildung lässt eine genauere Deutung nicht zu. Die Situation stimmt wie beschrieben am besten mit dem Grundriss überein.

[8] Aus: „A family flat in Vienna“ in: “Studio”, 1937

[9] Aus „Eine Wohnung im Döblinger Cottage von Arch. Liane Zimbler“ in: „Österreichische Kunst“, S. 18, 1936

[10] Aus „A family flat in Vienna“, in: “Studio”, S. 33, 1937

[11] E. Huebscher hat diese Information vom Sohn der Familie, der ebenfalls in Los Angeles lebt und mit ihr befreundet ist. Demnach befindet sich die Bar in einem New Yorker Haushalt.




 
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