3.1.2   Baupolitischer und architektonischer Hintergrund


Liane Zimblers Ankunft in Amerika fiel in eine Zeit, in der die Auswirkungen der wirtschaftlichen Depression noch deutlich spürbar waren. Der drohende Zweite Weltkrieg trug dazu bei, dass auch der Bausektor stark betroffen war. Wie in Europa gab es nur einen schwachen Markt für private Bautätigkeit. Ungefähr 85% der Architekten in den USA waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos.

Oberflächlich betrachtet, hatte der Bausektor in den 20er Jahren noch funktioniert. Im internationalen Vergleich mit anderen industrialisierten Ländern herrschten für den Hausbau in Nordamerika bessere Voraussetzungen: Die Löhne lagen höher, Grundstücke, Baumaterial und einfache Konstruktionstechniken waren leichter zu beschaffen. Das verhinderte aber nicht das ständige Steigen der Mieten, während die Löhne stagnierten. Das Engeproblem bestand auch hier in den großen Städten. So gab es zwar Bedarf an neuem Wohnraum, die Bautätigkeit erfuhr aber nur 1919 einen kurzen Aufschwung und verschob sich zu Gunsten des Industriebaus. Unternehmer sahen selten die Notwendigkeit, für angemessenen Wohnraum ihrer einkommensschwachen Arbeiter zu sorgen.

Wohnraumbeschaffung war also sowohl in Österreich als auch den USA in der Zwischenkriegszeit ein drängendes Thema. Dabei stellte Wien eines der europäischen Beispiele dar, das reformwilligen Planern Amerikas als Orientierungsmodell diente. Das betraf die politische und planerische Organisation, die hinter der Wiener Siedlungs- und Gemeindebaubewegung stand, und deren architektonische Gestaltung.[1] Auffallend ist, dass in den USA die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für die arme Bevölkerung viel zögerlicher zu einem politischen Anliegen gemacht wurde, als das in Wien geschah.

Herbert Hoover, von 1929 bis 1932 Präsident der Vereinigten Staaten, hob unter dem Motto „centralize ideas and decentralize execution“ die Forderungen zurück auf regierungspolitische Ebene. Die Reformbewegungen fasst ab diesem Zeitpunkt der Oberbegriff „New Deal“ zusammen. Hoover verfolgte zwar keine neuen Ideen, baute die vorhandenen aber weiter aus, indem er beispielsweise Finanzierungsprogramme erweiterte. Auch unter Liane Zimblers Klienten konnten manche mit diesen Darlehen ihr Hausprojekt verwirklichen lassen.

Präsident Franklin Roosevelt (1933-1945) knüpfte an Hoover an, ging aber über dessen Bemühungen hinaus, indem er konkrete Neuerungen einführte. Er war der Ansicht, dass aktive Planung das beste Mittel gegen die Depression und ihre Folgen war und stand der modernen Stadt- und Regionalplanung näher als seine Vorgänger. Acht Programme zwischen 1933 und 1940 mit unterschiedlichen Schwerpunkten hatten als gemeinsame Ziele wirtschaftliche, soziale und räumliche Planung. Durch die Beschäftigung von Fachleuten und die Institutionalisierung der Vorhaben professionalisierte er den Planungsapparat.

Gestalterisch machten sich die Einflüsse Europas erst mit Verspätung in den 1930er Jahren deutlich bemerkbar. Schon in den in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts waren Architekten der europäischen Avantgarde eingewandert – aus Österreich beispielsweise Joseph Urban, Rudolf Schindler, Richard Neutra und Friedrich Kiesler. Wie in Österreich trennten sich jedoch auch in Amerika die Menschen ungern von vertrauten, nach Meinung der „Modernen“ aber überkommenen Vorstellungen. Geschmacksrichtungen, die das englische sowie provenzalische Landhaus oder im Süden der USA den spanischen Kolonialstil kopierten, dominierten (und sind teilweise bis heute aktuell). Die amerikanischen Architekten waren zum großen Teil noch nicht aufnahmebereit für die neue Schlichtheit der Häuser, Möbel und Gebrauchsgegenstände. In der Literatur ist von „selbstzufriedener Isolation“ die Rede. Auch ausgedehnte Reisen hätten den Blick der Planer kaum von den vertrauten Pfaden der Beaux-Arts-Schule abgelenkt, obwohl Wien, Berlin und die Niederlande von vielen besucht wurden.[2] Amerikanische Architekturzeitschriften berichteten zwischen 1919 und 1929 nur spärlich über die Diskussion, die Vertreter und die Beispiele des „Neuen Bauens“ in Europa.

Die Ausstellung „The International Style“ im Museum of Modern Art in New York 1932 von Henry Russel Hitchcock und Philip C. Johnson bedeutete einen Einschnitt in die Rezeption moderner Architektur. Richard Neutra war einer der Vertreter, die von Hitchcock und Johnson begeistert aufgenommen wurden. Zusammen mit dem Katalog und dem Buch, die aus Anlass der Ausstellung erschienen, beeinflussten sie nachhaltig das Denken in der Architekturszene. Diejenigen, die sich neuen Strömungen gegenüber ohnehin offener gezeigt hatten, bekamen ein Forum und Unterstützung durch die Ausstellung. Kritik wurde ebenfalls geäußert. Manche - so zum Beispiel Rudolf Schindler - sahen durch die Festlegung der modernen Formensprache, die die Ausstellung verbreitete, einen dogmatischen Umgang mit „Erlaubtem“ und „Unerlaubtem“.

Diese (knappe) Darstellung zeigt die Situation, die Liane Zimbler vorfand. Sie geriet auch in den USA wieder in eine Umbruchphase. Viele Argumente des Streits um modernes Bauen waren ihr bereits aus Europa bekannt, wo die Diskussion früher eingesetzt hatte.

 



[1] Catherine Bauer war eine Vertreterin der wohnungspolitischen Reformen. Sie unternahm ausgedehnte Europareisen und war besonders von den Wohnbauprojekten Wiens und Frankfurts am Main beeindruckt. Zurück in den USA veröffentlichte sie Artikel über ihre Erfahrungen zum Beispiel im „New York Times Magazine“. In den 30er Jahren wandte sie sich verstärkt den wirtschaftlichen und sozialen Aspekten der Wohnbaubewegung zu. Durch die Begegnung mit Lewis Mumford bekam sie direkten Kontakt mit reformwilligen Planern. Mit ihrem Buch „Modern Housing“, das 1934 veröffentlicht wurde, machte sie europäische Wohnbauprogramme dem amerikanischen Publikum zugänglich. Sie sah die heimischen Bemühungen sehr kritisch: Trotz vergleichbarer Regierungen werde in Europa ein ungleich besseres Ergebnis erzielt. Dort baue man für den Bedarf und nicht aus Gründen der Bodenspekulation. Sie forderte stärkere Einmischung seitens der Politik. Selbst wurde sie als Mitarbeiterin der „Labor Housing Conference“ tätig.

[2] Siehe James M. Fitch: „Vier Jahrhunderte Bauen in USA“




 
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