3.3.5   50 Jahre Exil - vergleichender Rückblick


Liane Zimblers Tätigkeit erstreckte sich also auch in den USA auf verschiedene Gebiete. So, wie sie Veränderungen der Gesellschaftsstruktur und der Lebensgewohnheiten beobachtete, trug sie wieder zum Wandel letzterer bei. Wie in Österreich geschah das direkt durch die Gestaltung des täglichen Umfelds ihrer Auftraggeber und indirekt durch die Veröffentlichung ihrer Arbeiten, durch Vorträge und die Beteiligung an Ausstellungen.

Fast genau die Hälfte ihres Lebens verbrachte Liane Zimbler in den USA. Viele Jahre davon war sie beruflich aktiv. Noch ausgeprägter als in Österreich arbeitete sie als Innenarchitektin. Grundsätzlich unterschied sich das Anliegen der Auftraggeber für Wohnungen im amerikanischen Exil nicht. Sie erwarteten Wohnkomfort für die einzelnen Familienmitglieder, häufig mit möglichst kostensparenden Mitteln. Trotzdem waren die Voraussetzungen teilweise andere. Liane Zimblers Fähigkeit, sich von Gewohnheiten zu lösen, half ihr, sich mit ihren Entwurfskonzepten auf neue Bedingungen einzustellen. Die verbreitete offene Küche war die Vergrößerung der im Wohnraum integrierten Kleinstküchen ihrer kombinierten Zimmer. Zimblers Erfahrung mit der Organisation beengter Räume gab ihr neue Freiheiten bei der Übertragung ihrer Entwurfstätigkeit auf großzügigere räumliche Gegebenheiten. Anstelle von Mietwohnungen stattete sie nun Häuser aus, die oft im Besitz der Klienten waren. In ihrer Grundrissgestaltung berief sie sich auf die anhaltende Popularität des „open plan“.[1] Die Teilung eines Raumes durch halbhohe Schränke, Paravents und Regale hatte sie schon in Wien angewandt. Diese Methode übertrug sie in den amerikanischen Einfamilienhäusern auf den Wohn-, Ess- und Küchenbereich. Dank des warmen Klimas konnte sie ihrer Neigung, den Außenraum durch Pflanzen in den Innenraum zu holen, nachgehen. Aus Blumenwänden und Wintergärten wurden raumhohe Fenster und Glasschiebetüren. Zimbler traf auch auf Gestaltungsmerkmale, die sie schon in Wien als dort eher exotisches Mittel eingesetzt hatte. Den Verzicht auf den klassischen Eingangsbereich zu Gunsten eines nutzbaren Raumes zum Beispiel hatte sie bereits praktiziert.

Als Innenarchitektin bekam Zimbler häufig Einblick in die familiären Strukturen ihrer Auftraggeber. Nicht immer dürfte sie mit den Entwicklungen im häuslichen Bereich einverstanden gewesen sein. Schon in der Wiener Zeit unterstützte sie Bestrebungen nach einem selbstständigen Leben von Frauen, indem sie den funktionierenden Rahmen für berufstätige Frauen zu einem ihrer Hauptanliegen machte. In den USA ließ sich seit dem Ende des Krieges und besonders, als sich eine breite Mittelschicht zunehmend etablierte, die gegenteilige Tendenz beobachten. Nicht nur der wiedererlangte Wohlstand sollte am eigenen Haus demonstriert werden. Die klassische Rollenverteilung des arbeitenden Mannes und der Hausfrau wurde wieder populär. Während des Krieges waren Frauen auch in Amerika häufig berufstätig. Sie hatten teilweise die Plätze der Männer übernommen. Nach Kriegsende kehrten diese zurück und nahmen ihre alten Positionen wieder ein. Liane Zimbler hatte in den USA im Gegensatz zu ihrer Wiener Klientel kaum mit außer Haus arbeitenden Frauen als Auftraggeberinnen zu tun. Großzügige, häufig offene Küchen mit übertrieben voluminösen Haushaltsgeräten und deren Elektrifizierung wurden zum alt-neuen Reich der Frau erklärt. Es sollte, jedenfalls nach Meinung der beteiligten Industriezweige, stolz präsentiert werden. Die auf das Eigenheim konzentrierte und dafür konsumierende Frau wurde durch Werbekampagnen umworben und auch miterfunden. Vorgaben auf Plakaten und Zeitschriften zeigten das Idealbild: Die Hausarbeit findet nicht ohne „highheels“ und stets frisch onduliert statt (Abb. 6). Das („streamline“-) Design der Elektrogeräte weist dabei deutliche Parallelen zu dem eines weiteren wichtigen Bausteins dieser Welt auf, dem Auto (Abb. 7).

Diese Entwicklung vollzog sich in Nordamerika relativ rasch. Aus Wien berichtete Eva Zimbler anderes. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hat sie vorübergehend wieder in Wien gelebt.[2] In einem Artikel von 1956 für den „AID-Bulletin“ berichtet sie - gerade von einem Wien-Besuch zurückgekehrt - von einer typischen Wohnung der gehobenen Mittelklasse. In „Guided Tour through an Upper Middle Class Apartment in Post War Austria” unternimmt sie mit dem Leser, nicht ohne ironischen Unterton, einen Rundgang durch eine fiktive typische Wiener Mietwohnung. Sie beginnt mit der Bemerkung, dass generell die Räume in diesen Wohnungen nicht von Vornherein einem bestimmten Zweck zugeordnet und von einem langen, dunklen Gang erreichbar seien. Dieser erste Eindruck beim Betreten werde durch die Aussicht auf einen meist trüben Hinterhof nicht gehoben. Die gesamte Möblierung – „from grand-aunt Martha“ – wirke düster. Als Beispiel nennt sie die Garderobe, die von einem Dach bekrönt, das wiederum von Figuren getragen wird, einen Staubfänger darstelle. Praktische Einbaumöbel seien unbekannt. Die schweren Möbel gehörten den Mietern und müssten bei einem Umzug mitgenommen werden. Der sogenannte Salon mit dem unvermeidbaren Klavier werde kaum genutzt, weil er aufwändig und teuer zu heizen sei. (Die Zentralheizung war weit weniger verbreitet als in den USA zur selben Zeit.) Der eigentliche Aufenthaltsraum sei eine Mischung aus Ess- und Wohnzimmer mit zumeist unzähligen unbequemen Stühlen und einem riesigen Buffet. Ein Bad im amerikanischen Sinne suche man vergeblich, da dieser abgelegene Raum tatsächlich nur die Möglichkeit zum Baden gebe. Das, was man als Gast dort eigentlich wolle, fände man meist in der Nähe der Küche. Die Toilette sei im Winter nur für Mutige betretbar und biete lediglich kaltes Wasser. Auch die Küche wird als unwirtlicher Ort beschrieben. Sie sei mit sperrigen Möbeln statt Einbauschränken versehen. Für den Besucher nicht existent sei das Schlafzimmer. Ein Gästezimmer gäbe es selten. Da Farbe in Österreich sehr teuer sei, könne man nicht durch einen neuen Anstrich die Atmosphäre freundlicher gestalten. Insgesamt bleibe der Eindruck, in eine vergangene Epoche einzutauchen. Eva Zimbler stellt dem Publikum mit ihrem Bericht einen interessanten Vergleich vor. Ihre Präferenz für die Wohnform der amerikanischen Mittelschicht, die sie durch die Zusammenarbeit mit ihrer Mutter gut kennen gelernt hat, ist eindeutig.

Liane Zimbler selbst stellte ebenfalls Vergleiche an. Sie hatte sich jahrzehntelang mit der Optimierung von Raumausnutzung beschäftigt. Im hohen Alter befasste sie sich weiterhin mit diesem Thema und machte sich Gedanken zu dessen Problemlösung. Im Dezember 1981 reflektierte sie ihre bisherigen Erfahrungen. Sie formulierte erneut ein Problem, das sie schon um 1920 in Wien kennen gelernt hatte:

 

„Sixty years later, the problem of housing rears its head again, this time in `this land of milk and honey´.” [3]

 

Sie beobachtet, dass die bisherige Mobilität in Kalifornien spürbar nachgelassen hat. Das Preisniveau für Häuser und Grundstücke war stark gestiegen, was den Umzugswillen der Südkalifornier deutlich bremste. An den Folgen dieser Entwicklung entdeckt Zimbler Parallelen mit den Verhältnissen im Wien ihrer Zeit. Sie stellt fest, dass besonders ältere Leute in Wohnungen lebten, die nach dem Auszug der Kinder zu groß geworden waren. Oft wollten oder könnten sie ihr Haus nicht verlassen, da sie keine Käufer fänden oder ihre Umgebung nicht missen möchten. Zimbler berichtet, dass die preiswerteste Möglichkeit für viele aus ihrem Bekanntenkreis sei, die ungenutzten Zimmer zu verschließen und als Stauraum zu nutzen. Einige von ihnen böten unter Umgehung des zoning-law Räume zur Untermiete an.[4]

Im Vergleich mit Wien stellt sie fest, dass einige der damals angewandten Methoden, wie die Teilung großer Wohnungen oder Untervermietung, auch in Los Angeles eine Lösung darstellen könnten. Viele Wohnviertel, die in den Jahren des Baubooms als reine Einfamilienhaus-Gegenden geplant worden waren, gingen mittlerweile am Bedarf vorbei. Zimbler schlug vor, den Besitzern die Möglichkeit zu geben, ihre Häuser zu teilen und legal zu erschwinglichen Preisen zu vermieten. Als Beispiel nannte sie die ehemaligen Mädchenzimmer nebst Bad und eigenem Zugang, die noch oft in größeren Häusern vorhanden waren. Sie seien sehr geeignet, in kleine Wohneinheiten für Junggesellen und Studenten umgewandelt zu werden. Auf diese Art sei allen Beteiligten dadurch geholfen, dass die hohen Mieten geteilt und für den Einzelnen bezahlbar würden. Die Vorschläge - so Eva Huebscher auf die Frage nach deren Umsetzung - seien in der Praxis nicht aufgegriffen worden.[5]

Liane Zimbler schrieb über diese Problematik im Alter von 89 Jahren. Aus der praktischen Architektur hatte sie sich in den späten 70er Jahren zurückgezogen. Die Folgen eines Schlaganfalls schränkten ihren Handlungsspielraum ein. Ihrer Mutter sei dieser Zustand sehr schwer gefallen, sie sei immer eine außerordentlich aktive Person gewesen, sagt Eva Huebscher dazu.[6]

Nach Österreich ist Zimbler seit ihrer Flucht 1938 nicht zurückgekehrt. Sie hat auch keinen Besuch unternommen. Darüber, dass jegliche Geste der Anerkennung ausblieb, keine offizielle Einladung erfolgte und ihr auch nie ein Auftrag aus Österreich erteilt wurde, äußerte sie sich sehr enttäuscht. Diese Enttäuschung ging bis zur Verbitterung, berichtet Eva Huebscher, die ihre Mutter als im Allgemeinen fröhlichen, kontaktfreudigen und optimistischen Menschen beschreibt.[7]

Am 11. November 1987 starb Liane Zimbler mit 95 Jahren.

 

 

Abbildungen Kapitel 3.3.5

 

Abb. 6:           Consumerism, Quelle: “interior design of the 20th century”, S. 164

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Abb. 5:           Cadillac innen, Quelle: “interior design of the 20th century”, S. 166

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[1] In: „Designer Conquers Inner Space Problem“ von Ellen Shulte, „Los Angeles Times“, 28.06.1964

Der „open plan“ leitet sich von Le Corbusiers „plan libre“ ab. Le Corbusier charakterisierte die „Fünf Punkte moderner Architektur“: das Stützenraster, der freie Grundriss, die freie Fassadengestaltung, (liegende) Bandfenster und die Dachterrasse. Das Stützenraster trägt die Last, sodass Innenwände unabhängig von einer statischen Funktion aufgestellt werden können.

[2] E. Huebscher unternimmt bis heute regelmäßige Reisen nach Wien, was das deutlich entspanntere Verhältnis zu ihrem Geburtsland im Vergleich mit ihrer Mutter zeigt.

[3] Aus welchem Anlass sie dies verfasste, geht aus dem Geschriebenen nicht hervor.

[4] In den wachsenden Städten der vorletzten Jahrhundertwende lagen Wohngebiete, Geschäftsviertel, Industrie und Slums dicht beisammen, was zu massiven sozialen Problemen führte. Die „zoning laws“ unterteilten die Stadt in Gebiete mit unterschiedlichen Funktionen, sodass reine Wohngebiete für Einfamilienhäuser oder Mietshäuser, Geschäfts- und Industriegebiete sowie Bezirke mit uneingeschränkter Nutzung entstanden. Geschäftsleute, Stadtpolitiker und private Hausbesitzer begrüßten die Maßnahmen, da sie ihre Interessen vor den ungeliebten Bewohnern von Slums und Miethochhäusern geschützt sahen. Die Wohnungen in den „tenements“ hatten häufig keine Fenster und waren überbelegt, die Brandgefahr wegen der räumlichen Dichte der Gebäude hoch. Die Reglementierung der Gebäudehöhen, Gebäudeform und Abstandsflächen (New York 1911) sollte die Lebensbedingungen in den Mietshäusern verbessern. Zwischen 1907 und 1917 übernahmen über 100 amerikanische Städte diese Gesetzte. Kritiker sahen in ihrer Anwendung, dass der Gedanke an das Gemeinwohl vernachlässigt und die Probleme verlagert statt gelöst würden.

[5] Telefongespräch mit E. Huebscher am 3.12.2002

[6] Telefongespräch mit E. Huebscher am 28.10.2002

[7] Telefongespräch mit E. Huebscher am 28.10.2002




 
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