4          Zusammenfassung und Ausblick


Diese Arbeit zeichnet den Werdegang Liane Zimblers vom Anfang ihrer Tätigkeit als Architektin und Innenarchitektin in Wien bis zu ihrem Rückzug aus der Praxis 60 Jahre später im kalifornischen Exil nach. Ausgewählte Beispiele zeigen Zimblers Antworten auf Bauaufgaben ihrer Zeit und damit die Entwicklung ihrer individuellen Entwurfstätigkeit mit den typischen Merkmalen.

Bei der Betrachtung von Liane Zimblers Leben und Werk fallen trotz des Bruchs, den das Exil verursachte, während beider Lebensabschnitte Parallelen auf. Sowohl in Wien als auch den USA geschah Zimblers Schritt in die Selbstständigkeit vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich angespannten Lage. Als eine Folge davon war die private Neubautätigkeit stark eingeschränkt. Gleichzeitig bestand dringender Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum. Da Zimbler überwiegend im Bereich privater Wohnraumgestaltung tätig war, war es jeweils ihre Hauptaufgabe, Lösungen für dieses Problem zu entwickeln. Diese Voraussetzungen führten zu pragmatischen Entwürfen und einer schlichten Formensprache. Zimbler war der Ansicht, dass Funktionales und Ästhetik sich nicht ausschließen und kombinierte beide Aspekte in ihren Entwürfen. Damit konnte sie den verschiedenen Bedürfnissen ihrer Auftraggeber gerecht werden. Vergleichbar ist auch der Kreis, aus dem Zimblers Klienten in Wien und in Kalifornien kamen. Sie entstammten größtenteils dem bürgerlichen Umfeld, in dem sie selbst lebte.

In Wien und im Exil ging Zimbler mit der gleichen Arbeitsweise an ihre Aufträge heran. Sowohl in Österreich wie auch den USA „passte“ sie in die Bewegung des modernen Bauens und trug zur Verbreitung einer gemäßigten Moderne bei. Als typisch wienerischen Import brachte sie ins Exil die Liebe zum Detail mit. Zimbler schätzte hochwertige handwerkliche Arbeit und stellte diesen Anspruch auch an ihre eigenen Entwürfe. Mit der selbstgestellten Vorgabe, jeden Auftrag individuell zu behandeln, widersprach Zimbler dem Ansatz anderer Planer, die zur Lösung des Wohnproblems mit der Anwendung industriell und in Massen gefertigter Bauelemente und Möbel reagierten. Ihr Anspruch ließ sich bei ihrem in der Regel zahlungskräftigerem Klientel umsetzen. Zimbler sah aber auch bei Auftraggebern mit bescheidenen Mitteln den Bedarf, professionell mit räumlichen Bedürfnissen umzugehen. Die realisierten Entwürfe zeigen, welche Forderungen an sie herangetragen wurden. Zimbler machte auf Grund spezifischer Vorgaben, wie zum Beispiel die Unterbringung verschiedener Funktionen auf engem Raum, dauerhafte „Erfindungen“. Sie entwickelte Gestaltungskonzepte, die sich durch flexible Anwendung auf unterschiedliche Gegebenheiten - Wohnungen, Büros, Ladeneinrichtungen, viel und wenig Platz - übertragen ließen. Durch die Umsetzung in der Praxis gewann sie neue Erfahrungen, die sie wiederum in die Planungstätigkeit einfließen ließ. Obwohl sie erprobten Elementen, wie zum Beispiel Einbaumöbeln und „Räumen im Raum“ treu blieb, entwickelte sie ihre Gestaltungsmöglichkeiten ständig fort. Zimblers Art zu entwerfen spricht für eine Ablehnung extremer Lösungen. Das wird auch in „Aus Mietwohnungen von Liane Zimbler, Wien“ festgestellt:

 

„Extravagante Formen liegen der Künstlerin ebenso fern wie eine übertriebene Ausbildung des Details; was sie anstrebt ist das gute, bequeme und gefällige Möbel“ [1]

 

Liane Zimbler arbeitete in Österreich wie auch den USA mit steigender Tendenz als Innenarchitektin. Sie trug mit ihrer Tätigkeit zur Etablierung dieses anfangs neuen Berufszweiges bei.

Trotz der ähnlichen Ausgangssituation waren die Möglichkeiten, darauf zu reagieren, jedoch unterschiedlich. In Wien beschäftigte Zimbler sich vor allem mit innerstädtischen Projekten. Durch die Teilung großbürgerlicher Wohnungen und die Schaffung kombinierter Zimmer passte sie den Wohnraum den sich verändernden Lebensbedingungen an. Von den sozialdemokratischen und kommunistischen Strömungen des „Roten Wien“ blieb sie - im Gegensatz zu zum Beispiel Grete Schütte-Lihotzky - unberührt. Sie verfolgte Entwicklungen wie den Siedlungs- und Gemeindebau, wirkte bei entsprechenden Vorhaben jedoch nicht mit. Ob die Entscheidung für den privaten Wohnsektor, die bald durch eine stabile Auftragslage bestätigt wurde, zufällig entstand, ist nicht eindeutig nachzuvollziehen. Wahrscheinlicher ist die Erklärung, dass Zimbler bewusst einen zuverlässigen Kundenstamm aufbaute. Auch wenn sie auf Kontakte aus ihrer sozialen Umgebung zurückgreifen konnte, ist der Aufbau eines eigenen Ateliers umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass eine gesicherte Lebensgrundlage nach dem Zweiten Weltkrieg keine Selbstverständlichkeit war. Zudem begab sich Zimbler als Architektin auf ein von Männern dominiertes Gebiet.

Ihre Wiener Erfahrungen halfen Zimbler, sich im amerikanischen Exil mit einem Büro erneut selbständig zu machen. In Kalifornien verlagerte sich ihr Tätigkeitsfeld auf die Wohnbezirke am Stadtrand. Sie baute bereits bestehende Häuser um, bis durch die bundesstaatlichen Förderprogramme der Neubau privater Häuser wieder zunahm, deren Innenausstattung sie übernahm. An Großprojekten und städtebaulichen Fragen war sie zwar grundsätzlich interessiert, beteiligte sich aber nicht selbst daran.

Bei der Betrachtung aus heutiger Sicht bringt man Zimblers Innenräume mit den gemusterten Vorhängen, Teppichen, bemalten Möbeln und Wänden nicht mehr an erster Stelle mit dem Begriff „Schlichtheit“ in Verbindung. Sobald man aber die vorangegangenen und weiterhin praktizierten Vorstellungen von Wohnungseinrichtung ihrer Zeit in die Beurteilung einbezieht, wird der deutliche Unterschied durchaus klar. Die Möbel haben schlichte Formen und glatte, meist helle Oberflächen. Sie sind also sehr modern im Gegensatz zu ihren schweren, verzierten und meist in dunklem Holz gebauten Vorgängern. Die Herstellung war relativ preiswert, vor allem wenn Material wiederverwendet wurde.

Die Notwendigkeit, auf Probleme zu reagieren, und die Fähigkeit Zimblers, ökonomische, praktische und ästhetische Aspekte im Entwurfsprozess zu verbinden, beeinflusste Sehgewohnheiten und trug zum Umdenken bei. Was ihre Eingriffe in Lebensgewohnheiten besonders der Wiener Zeit betrifft, versteht man im direkten Bezug zum zeitlichen Kontext, was sie ausgelöst haben. Die persönliche Situation war beim überwiegenden Teil der Bevölkerung unsicher und schwer einschätzbar geworden. Nun sollte auch noch Vertrautes in der unmittelbaren Umgebung, der eigenen Wohnung, durch die Neuorganisation des Haushalts ersetzt werden. Die verstörten Reaktionen darauf, die sich in der Ablehnung moderner Wohnformen äußerten, sind erklärbar. Liane Zimblers praktischer Ansatz, mit Einbaumöbeln spätere Umzüge zu erleichtern, war im Wien der 1920er Jahre neu. Innenraumgestaltung ist mehr noch als das Äußere von Gebäuden der Gefahr von Kurzlebigkeit ausgesetzt. Der Einfluss, den Zimbler durch die Umsetzung ihrer Ideen ausübte, war dauerhafter als eine vorübergehende Erscheinung bestimmter Wohnmerkmale. In Kalifornien schlug sie beispielsweise Auftraggebern wiederholt vor, statt eines Umzugs den Umbau ihres Hauses vorzunehmen. Bei Zimblers Ankunft im Exil war das eine kaum praktizierte Methode. Zimbler setzte ihre Gestaltungskonzepte jahrzehntelang um. Die klare Formensprache der Moderne, die viele ihrer Zeitgenossen äußerlich anwandten, verwirklichte sie im Innenraum bis ins Detail. Die zunehmende Akzeptanz ihrer Entwürfe und anhaltend zuverlässige Auftragslage zeigen den Erfolg ihrer Arbeit.

Über eine erste Annäherung hinaus ist ein Überblick von Liane Zimblers Leben und Werk im jeweiligen zeitlichen Kontext entstanden. Die Recherche hat gezeigt, dass weiteres Archivmaterial auf seine Erforschung wartet. Die Akten der Wiener Baupolizei wurden für die Arbeit nicht mit dem Anspruch auf Lückenlosigkeit, sondern nach der Wichtigkeit der Projekte ausgesucht. Das Archiv des IAWA wurde - soweit bekannt - ebenfalls noch nicht systematisch untersucht. Das Werkverzeichnis Liane Zimblers kann durch die Auswertung dieses Materials in Kombination mit dem Besuch realisierter Beispiele deutlich erweitert werden. Im Februar 2003 werde ich durch eine Reise nach Los Angeles weitere Schritte zur Ergänzung des „Projekts Zimbler“ unternehmen.



[1] In: „Moderne Bauformen“, Juni 1934




 
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